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Josef Schilbers...
...und das Haus  am Bismarckplatz 11

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Bismarckplatz 7, 11 und 15; ein Buschhüter-Ensemble

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Josef Schilbers in Nieukerk, 1906

Während im östlichen Teil des Bismarckplatzes noch viel alte Bausubstanz erhalten geblieben ist, dominieren im westlichen Teil die Nachkriegsbauten. Umso mehr fällt das Sandsteinhaus Bismarckplatz 11 mit seiner schönen Erkerlaube und der Fassade im historisierenden Stil auf. Sein Bauherr und langjähriger Bewohner Paul Josef Schilbers spielt bei der Entstehungsgeschichte des Bismarckviertels eine maßgebliche Rolle.

Er wird am 23. November 1858 als jüngstes von sieben Kindern des Spediteurs Wilhelm Heinrich Schilbers und seiner Ehefrau Anna Maria, geb. Zaun, in Krefeld geboren. Nach dem Schulbesuch tritt er Mitte der 1870er Jahre in das väterliche Geschäft ein. Es befindet sich in zentraler Lage an der Gladbacher Straße 4, wo 1906 das Sinn-Haus errichtet wird. Schilbers führt den Betrieb in dritter Generation weiter. 1883 heiratet er Maria Agnes Backes. Drei Jahre später gründet der unternehmungslustige Geschäftsmann den privaten Postdienst „Express-Packet-Verkehr“ mit eigenen Marken im Wert von 5 bis 50 Pfennig, womit er sich jedoch nur für kurze Zeit auf dem Markt behaupten kann.

Nach dem Verkauf der Speditionsfirma an den Kaufmann Fritz de Greiff jun., der sie unter dem alten Namen fortführt, steigt Schilbers - wie vorab bereits sein älterer Bruder - in das Immobiliengeschäft ein. Zu dieser Zeit ist Krefeld eine der schnellst wachsenden Städte der preußischen Rheinprovinz und gilt zugleich als eine der reichsten Städte des deutschen Kaiserreichs. Die Einwohneranzahl hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte mehr als verdoppelt und der Immobilienmarkt floriert entsprechend.

 

Schilbers handelt zunächst im großen Stil mit Bau- und Bauerwartungsland im Stadtgebiet von Krefeld und in Bockum. Das großflächige Spekulationsterrain im mittleren Osten der Stadt wird vor 1892 auch noch als "Jentges-Schilbersscher Grundbesitz" bezeichnet. Etwa ab 1899 geht er dazu über, seine Grundstücke zu bebauen. Damals setzt im Bismarckviertel eine zweite, intensive Bauphase ein. Dort – vor allem im südlichen Teil der Bismarckstraße sowie an der Moltkestraße und dem gleichnamigen Platz – lässt er bis 1914 insgesamt 32 repräsentative, am Jugendstil orientierte Stadtvillen errichten, die er anschließend vermietet. Hierbei arbeitet er zunächst mit den Architekten Peter Frank und Karl Buschhüter zusammen. Letzterer übernimmt während des Zeitraums 1900/01 die Bauleitung für sieben Häuser: Wohnhäuser Bismarckstraße 18, 20, 22 und 24 (später 20-26), Mietshaus Bismarckplatz 7, Wohnhaus Bismarckplatz 11 sowie Doppelhaus Bismarckstraße 28-32.

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Josef Schilbers mit Ehefrau und Schwägerin im Garten des Hauses Bismarckplatz 11; um 1910

Von den Schilbers-Bauten Buschhüters überdauern den Krieg lediglich das Haus Bismarckplatz 11 (weitgehend erhalten) und die Doppelhaushälfte Bismarckstraße 32 (teilweise beschädigt / renoviert). Obwohl Schilbers stets Anhänger Buschhüters und seiner Bauformen bleibt, kommt es bereits im Sommer 1901 zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten und in der Folge zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Um 1900 bewohnt Josef Schilbers mit seiner Frau und einer Schwägerin noch ein Haus des Architekten Heinrich Bruns am Bismarckplatz 40. Das Haus Bismarckplatz 11 ist schon vor Fertigstellung mit Vorkaufsrecht an den Kaufmann Gustav Ebeling vermietet worden. Als letzterer im Rahmen einer Auseinandersetzung um die Ausstattung der Küche seinen Mietvertrag kündigt und das Vorkaufsrecht aufgibt, beziehen er und seine Angehörigen das Haus als dauerhaften Wohnsitz.

Sein Büro befindet sich am Moltkeplatz 11. Das zweieinhalb-geschossige Backsteingebäude besticht durch die Lage in der Mitte des Platzes sowie durch die Flachdachkonstruktion mit aufgesetztem Giebel und Hofeinfahrt. Der obere Teil des Hauses ist vermietet. Mit dem Großteil der dortigen Häuserzeile fällt es den Bomben des Zweiten Weltkrieges zum Opfer.

Das Jahr 1912 bedeutet einen nachhaltigen Einschnitt für die expansive Geschäftstätigkeit von Josef Schilbers. Damals diagnostiziert sein Hausarzt, Sanitätsrat Dr. Winselmann, ein nervöses Magenleiden und ordnet an, er solle sich ganz aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Schilbers sieht sich daher genötigt, einen Geschäftsführer zu engagieren und entscheidet sich für einen angeheirateten Neffen, den Bergassessor Eduard Kaufmann. Letzterem, der eine vielversprechende Karriere im Bergfach aufgibt, sichert er im Gegenzug die spätere Über-tragung der Firma zu. Durch den Ausbruch des Ersten Welt-krieges werden die Pläne allerdings jäh durchkreuzt: Bereits im August 1914 wird Kaufmann eingezogen und findet im November des Folgejahres in der Champagne seinen Tod. Buchhalter Willy Peters und weitere Mitarbeiter werden ebenfalls zum Frontdienst abkommandiert. Somit muss er nunmehr wieder selber – trotz chronischer Erkrankung – die Geschäftsführung übernehmen. Zudem erschweren die Kriegsumstände das Tagesgeschäft, da die Vergabe und Durchführung von Arbeiten wegen fehlender Handwerker und Materialien stets komplizierter und langwieriger verläuft. Nach einer im Januar 1918 ausgefertigten Aufstellung umfasst der eigene Immobilienbestand 65 Häuser sowie außerdem Baustellen, Grundstücke, Äcker und Wiesen im Werte von 590.000 Mark. Hinzu kommt die Übernahme der Hausverwaltung für einige Personen, die infolge ihrer Einberufung nicht mehr dazu in der Lage sind.

Mit dem Verlust des Geschäftsführers stellt sich im Winter 1915/16 überdies erneut die Frage einer Nachfolgeregelung. Schilbers ist inzwischen 56 Jahre alt, die Ehe kinderlos geblieben. In einem Schreiben an das Polizeiamt vom 3.Januar 1918 heißt es resümierend: „Da Niemand in uns. Familie vorhanden war, der uns. Geschäft weder direkt noch später hätte übernehmen können, reifte in mir der Entschluss, uns. Geschäft raschmöglichst zu verkaufen, an erster Stelle habe ich dann den grössten Teil uns. Immobilien der Stadt Crefeld zur Uebernahme angeboten, gegen eine 4% tige Lebens- bzw. Dauerrente von 16 Jahren. Leider sind aber diese Verhandlungen im Mai 1917 gescheitert, indem uns. Stadtväter Bedenken hatten, uns. Haus- und Grundbesitz zu übernehmen, bevorzugt wegen der damit verbundenen umfangreichen Verwaltungsarbeiten.“ Als sich ein abschlägiger Bescheid der Stadt abzeichnet, entschließt er sich, die Auflösung seines Immobilienbestandes selbst in die Hand zu nehmen. Als erstes Objekt verkauft er im März 1917 das Haus Bismarckstraße 37 an seinen Jagdfreund Landrichter Karl Dannhausen.

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Moltkeplatz um 1930; in der Mitte das Verwaltungs-gebäude von Josef Schilbers

Nach dem verlorenen Krieg wird Krefeld größte Garnisonsstadt der belgischen Besatzungszone. Am Hohen Haus entwirft Schilbers’ vormaliger Architekt Peter Frank zusammen mit August Biebricher 1921 die ersten Wohnhäuser für belgische Offiziersfamilien. Angesichts knapper Nahrungsmittel, Brennstoffmangel, Geldentwertung und rigider Anordnungen ist die Stimmung in der Bevölkerung feindselig und gedrückt. Offenbar hat auch das Schilbers’sche Haus als Unterkunft für die Belgier gedient, denn die Stadt lässt am 26. Februar 1926 mitteilen, das „Quartier Bismarckplatz 11“ sei von der Wohnungskommission freigegeben worden.

Schilbers fährt – trotz wirtschaftlicher und politischer Instabilität – mit der Auflösung seines Immobilienbestandes fort. Allerdings tragen die zahlreichen, vielfach durch Restschuldvereinbarungen abgewickelten Einzelverkäufe nicht zur erwünschten Übersichtlichkeit der Vermögenslage bei. Als sich ab Juni 1922 die bereits seit 1919 schwelende Hyperinflation zu einer rasanten Geldentwertung steigert, muss er erkennen, dass er zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt verkauft hat. Gewinner sind die Schuldner. Nach dem 1925 erlassenen Aufwertungsgesetz lotet er rechtliche Möglichkeiten aus, seine ihm durch die Geldentwertung entstandenen Nachteile auszugleichen.

 

Beispielhaft ist ein 1926 bei der Aufwertungsstelle des Amtsgerichts Kempen angestrengtes Verfahren gegen seinen Schuldner Hermann Passmann. Jener hat Schilbers kurz nach Kriegsende dazu überreden können, ihm das fünf Hektar große Ackergut Jägerhof für günstige 90.000 Mark zu verkaufen. Bei dem unmittelbar an das östliche Bismarckviertel grenzenden Areal handelt es sich um das vormalige Jagdrevier der Familie von der Leyen. Passmann zahlt das Darlehen am 18. November 1922 mit 100.000 Papiermark zurück und wird damit zu einem Realpreis von 76 Goldmark Volleigentümer der seinerzeit beliehenen Immobilie.

 

Seine freie Zeit widmet Schilbers der Jagd. Etwa 1909 hat er sich in Nieukerk von einem unbekannten Architekten ein Land- und Jagdhaus bauen lassen, das den zu dieser Zeit errichteten Ziegelbauten Buschhüters zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Schussbücher aus dem Zeitraum 1909 bis 1926 enthalten auch die Namen der Jagdteilnehmer, unter denen sich etliche der damaligen Bewohner des Bismarckviertels befinden. Oft dabei sind beispielsweise die beiden Nachbarn Emil Jores und Robert Pastor. Zu seinem älteren Bruder Jean, der in Sichtweite gegenüber am Bismarckplatz 4 wohnt, hat er hingegen keinen Kontakt. Beide sind zerstritten und reden nicht miteinander. Man spricht daher seinerzeit auch von den „beiden feindlichen Brüdern am Bismarckplatz“.

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Bismarckplatz 11 nach dem 22. Juni 1943

Schilbers’ letzter Lebensabschnitt ist von Resignation geprägt. Die Erfahrungen der Nachkriegs- und Inflationsjahre haben das Vertrauen in seine Mitmenschen und in die politische Ordnung schwer erschüttert. In einem Brief an die Aufwertungsstelle des Amtsgerichtes Kempen aus dem Jahr 1926 schreibt er, dass er „in dieser Schreckenszeit total den Kopf verloren und jeglichen Halt und Glauben an die gute alte Gerechtigkeit vollständig aufgegeben“ habe. Von den vielen Personen, die vormals seine Nähe und Freundschaft gesucht haben, sind nur noch wenige übrig geblieben. Der letzte Eintrag im Schussbuch erfolgt am 26. November 1926.

Seine Magenerkrankung hat sich inzwischen erheblich verschlimmert. Paul Josef Schilbers stirbt am Palmsonntag 1927 im Alter von 68 Jahren. Ehefrau Agnes folgt ihm ein Jahr später. Das Haus verbleibt noch bis April 1958 im Familienbesitz. Zunächst wohnt dort bis zu ihrem Tode am 7. Oktober 1942 die Witwe Josefine Emmel, Schwägerin von Josef Schilbers, danach seine Nichte Maria Egert mit ihrer Familie.

Nach einem ersten alliierten Luftangriff auf die Stadt Mönchengladbach im Mai 1940 wird deutlich, dass auch Krefeld gefährdet ist. Anfang Juli errichtet die Firma Franz Thomassen am Bismarckplatz 11 für 38,93 Mark einen Durchbruch zu Luftschutzzwecken. Aber erst in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1942 erfolgt der erste größere Luftangriff der Royal Air Force auf Krefeld. Dabei bleibt das Bismarckviertel zwar noch verschont. Doch viele Bürger büßen ihre Bleibe ein, darunter der seit Juli 1933 im Amt befindliche Oberbürgermeister Dr. Alois Heuyng. Die Stadt beschlagnahmt das Erdgeschoss des Hauses Bismarckplatz 11 und weist die Etage dem Oberbürgermeister als neues Wohnquartier zu.

 

Der zweite große Fliegerangriff im Juni 1943 löst ein bis dahin nicht erlebtes Inferno in Krefeld aus. Weite Teile des Bismarckviertels werden fast vollständig zerstört. Auch das Wohnhaus Bismarckplatz 11 ist schwer getroffen. Trotz erheblicher Schäden und nicht zuletzt Dank zügiger Löscharbeiten der Eigentümer kann es jedoch weitgehend erhalten bleiben. Das Nachbarhaus zur Rechten ist hingegen nicht mehr zu retten.

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Nach dem Krieg herrscht große Wohnungsnot. Es beginnt die Zeit der Zwangseinquartierungen und der damit verbundenen Konflikte. Das Haus wird in mehrere Wohneinheiten aufgeteilt. Zugleich bemühen sich die Nacherben darum, die Fassade möglichst originalgetreu zu bewahren. Hierbei berät sie noch Karl Buschhüter. Weshalb der auf den ersten Blick weniger stark beschädigte Giebel die Nachkriegsjahre nicht überdauert hat, ist nicht ganz deutlich.

Anfang der 50er Jahre Zeit liegt am westlichen Rand des Bismarckviertels noch eine beträchtliche Anzahl von Industriebetrieben, darunter die alteingesessene Stückfärberei und Appretur Molenaar & Lawaczek (Viktoriastraße 167). Das Gelände der Firma mit seinerzeit über 100 Mitarbeitern ragt weit nach hinten in das Straßenkarree hinein und grenzt somit seitlich an die Grundstücke Bismarckplatz Nr. 11 bis 19 sowie rückseitig an das Grundstück Bismarckstraße 32. Nach dem Einbau einer neuen, motorbetriebenen Entlüftungsanlage beschweren sich die Anlieger wiederholt über erhebliche Beeinträchtigungen durch den damit verbundenen Maschinenlärm.

Daraufhin schließen sich 1952 einige Betroffene – Vertreter der Familien Egert, Schneewind und Werner - zu einer Prozessgemeinschaft zusammen und klagen auf Unterlassung.

 

Neben Art und Stärke der Geräusche findet auch der Aspekt der Ortsüblichkeit Berücksichtigung, wobei das Landgericht in seinem Urteil vom 1. Dezember 1953 feststellt, „dass der Betrieb der Beklagten in einer ausgesprochenen Wohngegend liegt, die sich insbesondere in der Richtung des Grundstücks des Klägers – und weit darüber hinaus als eine bekannt gute bezw. beste, an ausgeprägte Landhaus- und Villenviertel angrenzende Wohnlage (Bismarck-Viertel) darstellt.“ Das Gericht gibt der Klage statt.

1985 lässt die Stadt Krefeld das Haus als „bedeutendes und den Bismarckplatz prägendes“ Bauwerk unter Denkmalschutz stellen. Der spätere Ausbau des Dachgeschosses erfolgt entsprechend behutsam mit lediglich zwei kleinen Dachgauben an der Frontseite. Erbauer Josef Schilbers bleibt durch ein kunstvoll verschlungenes Monogramm oberhalb der Eingangstüre präsent.

Karl Egert

Grundlage des Beitrages ist Josef Schilbers' Nachlass

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